HALEH-GALLERY.COM LOGO

„Movement“ by Abolfazl Lireh, Kourosh Ghazimorad & Shervin Pashaie

Warum schreibt einer? Vielleicht, um die flüchtigen Dinge festzuhalten und aufzubewahren. Vielleicht, um seinem Innersten eine Heimat zu geben, die er mit andern teilen kann. Die Welt aufzuschreiben, sich in die Welt einzuschreiben: diesem Grundimpuls entspringt die Literatur, aber auch die Zeichnung und die Malerei. Lange, bevor westliche Künstler am Beginn der Moderne mit der Verschmelzung von Bild und Text experimentierten, hatte die vom Bilderverbot geprägte islamische Kunst die Schrift als ästhetisches Mittel entdeckt. Movement schlägt eine Brücke von der morgenländischen Tradition zur abendländischen Gegenwart: Mit Aboulfazl Lireh, Kourosh Ghazimorad und Shervin Pashaie vereint die Ausstellung drei zeitgenössische Positionen aus dem Iran, die von der Geste des Schreibens ihren Ausgang nehmen und in unterschiedlichen Medien seine expressive Kraft, aber auch seine aktuelle politische Dimension ausloten.

Die tanzenden Formen Aboulfazl Lirehs führen an die gemeinsame Quelle von Schrift und Malerei. Seine dunkel flutenden, kreisenden Tuscheschlieren, die er mit der Metallfeder übers Papier zieht, sind Spuren einer Urgebärde: einer nervösen Bewegung, die die Farbe in Erregung versetzt und über die Fläche treibt. Ein Punkt wird zur Linie, zur Welle. Der melodiöse Schwung in Lirehs Kompositionen verdankt sich ganz wesentlich dem Einfluss der Musik, die den Maler stets begleitet. Dabei hat die Unmittelbarkeit, mit der Lireh einer körperlichen Dynamik bildlichen Ausdruck verleiht, auch etwas von der écriture automatique der Surrealisten, deren hastiges, assoziatives Schreiben die kontrollierende Vernunft überlisten und den freien Gedankenstrom dem Unbewussten und Zufälligen öffnen sollte. Wie die Formgespinste der deutschen Informel-Maler oder der amerikanischen action painter, die das surrealistische Prinzip des „automatischen“ Schaffens aufnahmen, protokollieren Lirehs schwarz-braune Farbwirbel die Spontaneität und Schnelligkeit des Malprozesses und machen sie für den Betrachter nachvollziehbar. Gleichzeitig aber schiebt Lireh immer wieder statische Gebilde als Barrieren in den Fluss der Malerei – Balken, Raster, Gitter, die dem dahingleitenden Auge wie Schlagbäume den Weg abschneiden. Die Disziplinierungsmaschinerie steht parat, die unbedingte Freiheit des Ausdrucks bleibt ein verletzbares Provisorium.

Im Spannungsfeld zwischen formaler Ordnung und Entfaltung stehen auch die Schrift-Bilder Kourosh Ghazimorads, die auf weißem Papier- oder Leinwandgrund die reine, graphische Präsenz der Sprache wirken lassen. Kalligraphische Malerei hat im islamisch geprägten Kulturkreis eine lange Geschichte. Der religiös begründete Bildverzicht forcierte hier die sehr sorgfältige und kreative Gestaltung des geschriebenen Wortes. Besonders die Werke der klassischen persischen Autoren wie Hafis oder Firdausi, deren Werke in Deutschland mit den Nachdichtungen Friedrich Rückerts und Goethes West-östlichem Diwan bekannt wurden, boten dafür seit dem Mittelalter populäre Vorlagen. Die westliche Kunst begann dagegen erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, Schrift als visuelles Element zu verwenden – zunächst in der Literatur, etwa in den Wortpartituren Mallarmés, den futuristischen Manifesten Marinettis oder den Calligrammes Apollinaires, dann auch in der Malerei, wie in den MERZ-Bildern Kurt Schwittersʼ oder den Zeitungsfragmenten der kubistischen Collage. Ghazimorad bezieht sich ausdrücklich auf die jahrhundertealte kalligraphische Tradition seines Heimatlandes, bricht sie aber mit einem modernen, zeitgenössischen Zugriff. Der meditative, fast sakrale Akt des Schreibens wird bei ihm zur expressiven Aktion, die die Schrift von ihrer Verweisungsfunktion befreit und die Aufmerksamkeit vom Textinhalt auf den Eigensinn ihrer malerischen Qualitäten lenkt. Die Zeichen, die Ghazimorad wie einen enggeknüpften Teppich zu ornamentalen Geweben verdichtet und bis an die Grenze der Wiedererkennbarkeit abstrahiert, bedeuten nichts als sich selbst. Für den, der das persische Alphabet nicht beherrscht, sind sie somit in einem doppelten Sinne unlesbar. Der ästhetischen Erfahrung aber bleiben sie zugänglich: nicht als Schrift, sondern als Bild.

Shervin Pashaie bedient sich expliziter aus dem Fundus westlicher Bildwelten. Seine digital generierten und collagierten Gemälde rufen Erinnerungen wach an die dunkeltonige Eleganz Alter Meister, an ausgeblichene, unscharfe Photographien oder aus der Zeit gefallene, verwaschene Reklame. Nackte weibliche Körper als Symbole für Reinheit und Schönheit verweisen zugleich auf die Liebesmetaphorik der persischen Dichtung. Auf den zweiten Blick freilich kippen Pashaies Motive ins Unbehagliche: Was man zunächst für den Korpus eines Heiligen Sebastian halten mochte, erweist sich als Zwitterwesen mit männlicher und weiblicher Brust. Puppenstarren Frauenrümpfen werden vom Bildrand die Köpfe amputiert. Und in den Portraits begegnen uns leere Gesichter, auf unheimliche Weise geblendet und ausgelöscht bis auf die kleinen, schweigenden Münder. Alles Persönliche, Individuelle, Menschliche ist Pashaies monströs fragmentierten Gestalten weggenommen. Dafür sind ihnen feine schwarze Farsi-Schriftzeichen auf die Leiber gelegt – und wieder schleichen sich Zweifel ein: Sind die dekorativen Tätowierungen nicht vielleicht Brandmale, wie sie Tieren zur Markierung des Besitzes, aber auch Menschen in Lagern und Gefängnissen als Stigma der Unterwerfung aufgedrückt werden? Ist die quer über die Stirn laufende Buchstabenkette nicht eher eine schlechtvernarbte Wunde? Das filigran um den Hals rieselnde Schriftcollier nicht ein präziser, von Schulter zu Schulter geführter Sektionsschnitt? Es ist kein Zufall, dass Schrift beides sein kann: ein schmückendes Accessoir ebenso wie ein messerscharfes Instrument, das unter die Haut geht.

« Zurück zur Übersicht