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THE JOURNEY CONTINUES

 

Eröffnung: 14. September 2012, 18 Uhr

Wer reist, sieht mit schärferem Blick: das Fremde, weil es noch unbekannt ist, aber auch das Vertraute, weil man es bei der Heimkehr mit neuen Augen sehen kann. Mit der Ausstellung The Journey Continues führt die Haleh Gallery vier Künstler zusammen, die als Pendler zwischen Europa und dem Iran die Perspektiven beider Weltregionen kennen und zwischen ihnen vermitteln. In eindringlichen Photographien, Filmen und Skulpturen entwickeln Stefan Nimmesgern, Koorosh Asgari, Javid Tafazoli und Zahra Hassanabadi ihre je ganz persönliche Vision des Landes. Dabei zeigen sie eine Gesellschaft, die selbst auf der Reise ist: in eine Moderne, deren Versöhnung mit den Traditionen der Menschen erst noch ausgehandelt werden muss.

Stefan Nimmesgern (*Saarlouis / Deutschland 1956) wurde 2005 bekannt, als er Reinhold Messner auf der Suche nach den sterblichen Überresten seines 1970 verunglückten Bruders Günther zum Nanga Parbat begleitete. Seine im Jahr darauf entstandenen Bilder aus dem Iran sind leiser, aber nicht weniger intensiv. Sie dokumentieren Menschen und Kultur des Landes aus der Sicht des westlichen Photographen, aber auch vor dem Hintergrund einer persönlichen Familiengeschichte, die eng mit dem Mittleren Osten verbunden ist. Erinnerungen an die verblichene Pracht des alten Persiens und seiner glänzenden Städte, an deren Gestaltung Nimmesgerns Großvater seit den 1930er-Jahren als Architekt beteiligt gewesen war, mischen sich mit der Erfahrung des heutigen, zwischen Vergangenheit und Fortschritt zerklüfteten Iran: „Ich sah die Widersprüche, die Brüche in der Gesellschaft, den Kampf der Frauen, teils listig und klug, teils mit großer Vehemenz geführt. Einen Kampf um Freiheit und westliche Werte – aber auch das Gegenteil, den Widerstand, der all dies mit Macht zu verhindern sucht. Meine Kamera wurde Zeuge dieses Prozesses. In stillen Bildern zeige ich Menschen, vornehmlich Frauen, die aufbrechen wollen in eine andere Zukunft.“

Für diesen spezifisch weiblichen Beitrag zur sozialen Transformation fordern die Arbeiten von Koorosh Asgari und Javid Tafazoli vehement Respekt und Aufmerksamkeit.

Koorosh Asgari (*Teheran 1972) umkreist in seinem Kurzfilm Shahrbanu (5:30 Min. / 2012) die stolze Schönheit iranischer Frauen. Mit außerordentlicher Eleganz tragen sie den Hijab, die traditionelle Körperverhüllung aus schwarzem Tuch, die ihre Trägerinnen zugleich aber den Blicken entzieht und sie als individuelle Persönlichkeiten verschwinden lässt. Der weichfließende, geheimnisvoll dunkle Schleier steht somit als doppelbödiges Symbol sowohl für einen intimen Raum weiblicher Anmut und Würde als auch für die gesellschaftliche Unsichtbarkeit der Frau, die in das textile Korsett ein- und von sozialer Teilhabe ausgeschlossen wird.

Solche Mechanismen der Ausgrenzung analysiert auch Javid Tafazoli (*Bodschnurd / Iran 1982) in seinen photographischen Studien. Seine Portraits vollverschleierter Frauen erzählen vom Verlust weiblicher Identität durch ihre symbolische wie reale Ausblendung aus einer tiefreligiös geprägten und männlich dominierten Öffentlichkeit: „Unser Gesicht ist der Spiegel unseres Innersten: unserer Angst, unserer Fröhlichkeit, unseres Zorns. Nur dem, dem man in die Augen sehen kann, begegnen wir mit Verständnis und Zuneigung. Wer kein Gesicht hat, kann nichts von sich mitteilen; seine Gesten, Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche werden undeutbar. Wem man das Gesicht nimmt, dem nimmt man sein Selbst.“

Für Zahra Hassanabadi (*Shiraz / Iran 1964, lebt seit 2001 in Deutschland) schließlich ist Entmenschlichung ein universales Phänomen, das überall auftritt, wo Macht und Ohnmacht asymmetrisch verteilt sind. Ihre Skulpturen und Installationen zielen deshalb auf allgemein zugängliche, emotionale Erlebnisse, die sich über die Poesie des Materials vermitteln. So verwandelt sie in ihrer Serie der Köpfe die archetypische Form des Schädels durch den Einsatz beziehungsreicher Werkstoffe zu einer Metapher für die Verletzlichkeit jeder menschlichen Existenz: Spitze Zahnstocher sprechen von schmerzhaften Stichen, grobe Stahlwolle vom rohen Zugriff auf den Körper. In die Vorstellung von physischer und seelischer Gewalt mischt sich aber auch die Anmutung von Zartheit und Fragilität, die die Assoziationen des Betrachters in der Schwebe hält. Besonders zum Tragen kommt diese Ambivalenz bei den Köpfen aus weißem, textilem Füllmaterial, die mit weißem Nähgarn so eng umwickelt sind wie der Kokon einer Schmetterlingslarve. Gedanken, Träume, Hoffnungen sind hinter dem Fadengespinst geschützt – aber sie werden niemals ausbrechen und fliegen. Sinnlich und widerständig zugleich, gespeist aus iranischer Bildtraditionen und Konzepten westlicher Kunst, verarbeiten die Werke Zahra Hassanabadis die persönliche Erfahrung einer zweifachen Distanz: gegenüber ihrer alten Heimat Iran und gegenüber Deutschland, das als eine mögliche Heimat erst mühsam erschlossen werden muss. Angesichts ihrer eigenen Biographie stellt die Künstlerin die Frage nach den Bedingungen und Begrenzungen von Humanität nicht nur an das Land ihrer Kindheit und Jugend, sondern an jede moderne Gesellschaft.

Die Reise muss weitergehen, überall, Schritt für Schritt.

Nach neuen Blicken auf den Iran wirft die Haleh Gallery im November einen neuen Blick auf Deutschland: Wir freuen uns, mit den spektakulären Bildern Gerhard Launer das Werk des wohl bekanntesten deutschen Luftbildphotographen präsentieren zu können.

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